Kritik an ZDF: Thomas P. Illes deckt Missverständnisse in AIDA-Dokumentation auf

Die ZDF-Dokumentation "AIDA: Die Insider" provoziert Diskussionen. Thomas P. Illes, Wirtschafts- und Kommunikationsberater sowie Kreuzfahrtexperte, enthüllt im Interview einseitige Berichterstattung und fordert ausgewogenere Darstellungen. Er sieht aber auch die Reedereien in der Pflicht, mehr Transparenz zu wagen.

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Die ZDF-Doku­men­ta­ti­on „AIDA: Die Insi­der – Tricks des Kreuz­fahrt-Gigan­ten“ wur­de erst­mals am 30. Mai 2023 gesen­det und ist seit dem in der Media­thek des Sen­ders abruf­bar. In der Doku­men­ta­ti­on schil­dern drei ehe­ma­li­ge Mit­ar­bei­ter von AIDA Crui­ses – unkennt­lich gemacht durch Thea­ter­mas­ken – ihre Ein­bli­cke in das Unter­neh­men. In der 45-minü­ti­gen Sen­dung set­zen die Autoren AIDA Crui­ses dabei einer Rei­he von Vor­wür­fen aus.

CRUCERO: Herr Illes, in der ZDF-Repor­ta­ge wur­den der Ree­de­rei AIDA zahl­rei­che Vor­wür­fe gemacht, die unter­schwel­lig eine Über­vor­tei­lung der Gäs­te ent­hal­ten. Begin­nen wir mit dem Vor­wurf, die Bord­kar­te als Ein­nah­me­quel­le zu betrach­ten. Es heißt: „Aus einem simp­len Zim­mer­schlüs­sel macht AIDA eine Ein­nah­me­quel­le; der Clou: Erst am Ende wird abge­rech­net.“ – Wie bewer­ten Sie die­se Beschrei­bung?

THOMAS P. ILLES: Die Autoren hät­ten im Rah­men ihrer jour­na­lis­ti­schen Sorg­falts­pflicht vor­ab recher­chie­ren sol­len und dann fest­ge­stellt, dass die bar­geld­lo­se Abrech­nung per Schlüs­sel­kar­te nicht nur bei AIDA, son­dern bei den meis­ten Kreuz­fahr­tree­de­rei­en welt­weit üblich ist und als Indus­trie­stan­dard gilt. Ähn­li­che Prak­ti­ken sind auch in vie­len Hotels auf dem Fest­land üblich, wo die Gäs­te gegen Hin­ter­le­gung einer Kre­dit­kar­te ver­schie­de­ne kos­ten­pflich­ti­ge Zusatz­leis­tun­gen aufs Zim­mer buchen kön­nen und die End­ab­rech­nung erst am Ende des Auf­ent­halts erfolgt.

Es stellt sich daher die Fra­ge, war­um das ZDF sei­ne Zuschau­er zu bevor­mun­den scheint und ihnen die Fähig­keit zur Eigen­ver­ant­wor­tung abspricht und der Ree­de­rei gleich­zei­tig die Bereit­stel­lung eines effi­zi­en­ten und ein­fa­chen Abrech­nungs­sys­tems vor­wirft?

Es scheint, als wol­le das ZDF die Zuschau­er als wenig ver­sier­te Nut­zer in einer digi­ta­li­sier­ten Welt dar­stel­len, die ange­sichts der vie­len Kauf­an­rei­ze und Ver­spre­chun­gen unse­rer Kon­sum­ge­sell­schaft Schwie­rig­kei­ten haben könn­ten, ihre Aus­ga­ben zu kon­trol­lie­ren. Natür­lich gibt es Men­schen, die mit die­sen Her­aus­for­de­run­gen nicht gut umge­hen kön­nen, aber das gilt auch für ande­re Lebens­be­rei­che.

Bezüg­lich des ohne­hin immer ver­brei­te­te­ren bar­geld­lo­sen Zah­lungs­ver­kehrs könn­te man argu­men­tie­ren, dass die Ree­de­rei vor­aus­schau­end gehan­delt hat, um ihren Gäs­ten ein zeit­ge­mä­ßes und unkom­pli­zier­tes Rei­se­er­leb­nis zu bie­ten. Es könn­te umständ­lich und zeit­auf­wen­dig sein, jede Trans­ak­ti­on ein­zeln abzu­wi­ckeln, ins­be­son­de­re wenn Bar­geld im Spiel ist. Dies könn­te sowohl für die Gäs­te als auch für die Besat­zung belas­tend sein und einem posi­ti­ven und ent­spann­ten Urlaubs­er­leb­nis im Wege ste­hen.

CRUCERO: Ver­lei­ten sol­che ver­ein­fach­ten Bezahl­vor­gän­ge aber nicht tat­säch­lich zu mehr Aus­ga­ben?

THOMAS P. ILLES: Viel­leicht ja, aber das gilt nicht nur für Kreuz­fahrt­schif­fe. Der Vor­wurf der „Über­vor­tei­lung der Gäs­te“ erscheint daher kon­stru­iert. Zudem wur­de in der Sen­dung nicht erwähnt, dass die Gäs­te jeder­zeit über die AIDA-App oder das Kabi­nen­fern­se­hen den Stand ihres Bord­kon­tos ein­se­hen kön­nen, was für Trans­pa­renz sorgt.

Wich­tig ist aber auch, und das wur­de in der Sen­dung eben­falls nicht erwähnt, dass die Key­card neben der Funk­ti­on als Zah­lungs­mit­tel noch eine Rei­he wei­te­rer wich­ti­ger Funk­tio­nen erfüllt.

Zum einen dient die Kar­te wäh­rend der gesam­ten Rei­se als Zutritts­kon­trol­le und Aus­weis. Außer­dem weiß die Crew jeder­zeit, wer sich wo an Bord und wer an Land befin­det. Neben einem dadurch opti­mier­ba­ren Bord­an­ge­bot ist dies auch unter Sicher­heits­aspek­ten und den stren­gen Sicher­heits­vor­schrif­ten an Bord von Kreuz­fahrt­schif­fen ele­men­tar. Zum Bei­spiel bei The­men wie Kri­mi­na­li­täts­be­kämp­fung oder Ter­ror­ab­wehr.

So ver­wun­dert nicht, dass die Sicher­heits­bi­lanz und die Gäs­te­zu­frie­den­heit auf Kreuz­fahrt­schif­fen zu den bes­ten in der Mobilitäts‑, Frei­zeit- und Tou­ris­mus­bran­che zäh­len.

CRUCERO: Ein ver­meint­li­cher Umsatz­brin­ger sol­len nach Inhalt der Repor­ta­ge auch die See­ta­ge sein. Ver­bun­den wird die Aus­sa­ge mit dem Hin­weis, dass die Deck­ka­pa­zi­tät für Son­nen­lie­gen nur für rund 1/3 der Gäs­te einen Lie­gen­platz ermög­licht. Was ist von die­sem Vor­wurf zu hal­ten?

 See­ta­ge sind bei den Gäs­ten sehr beliebt, da sie aus­rei­chend Zeit haben, die Bord­in­fra­struk­tur ohne Zeit­stress zu nut­zen. Dar­über hin­aus ermög­li­chen See­ta­ge eine Redu­zie­rung der Durch­schnitts­ge­schwin­dig­keit des Schif­fes bis zum nächs­ten Ziel, wodurch Treib­stoff ein­ge­spart wird. Die­ses Kon­zept, wel­ches unter dem Fach­be­griff „Slow Steam­ing“ auch bei Fracht­schif­fen Anwen­dung fin­det, trägt zur Redu­zie­rung der Emis­sio­nen bei.

Heut­zu­ta­ge fah­ren immer mehr Hoch­see­schif­fe zuneh­mend lang­sa­mer, was zu mehr See­ta­gen führt. Die­se Tat­sa­che wur­de in der genann­ten Sen­dung nicht erwähnt. Natür­lich füh­ren län­ge­re Auf­ent­hal­te an Bord in der Regel zu einem höhe­ren Kon­sum der Gäs­te. Daher sind See­ta­ge nicht nur für die Erho­lung der Gäs­te wich­tig, son­dern auch ein wesent­li­cher Bestand­teil des Geschäfts­mo­dells und der Rou­ten- und Umsatz­pla­nung der Kreuz­fahrt­un­ter­neh­men.

Zur Person


Der Wirtschafts- und Kommunikationsberater THOMAS P. ILLES ist seit gut 30 Jahren mit der Hochseetouristik verbunden und gilt als einer der international profiliertesten Schifffahrtsanalysten und Kreuzfahrtexperten. Er ist Inhaber des in Zürich ansässigen Beratungsunternehmens thilles consulting GmbH, doziert an diversen Hochschulen, moderiert auf Fachmessen und Tagungen und ist regelmäßig als TV-Experte – unter anderem auch für das ZDF – zu sehen.
Thomas P. Illes; Foto:  © ZDF /  thilles consulting GmbH

Hin­sicht­lich des Hin­wei­ses auf die begrenz­te Kapa­zi­tät für Son­nen­lie­gen haben die Macher der Sen­dung einer­seits Recht, unter­schla­gen aber zur bes­se­ren Ein­ord­nung die Nen­nung der Qua­li­täts­klas­se von AIDA Crui­ses und das in die­sem Zusam­men­hang wich­ti­ge kreuz­fahrt­spe­zi­fi­sche Qua­li­täts­kri­te­ri­um „Platz pro Pas­sa­gier“. Der­ar­ti­ge Ver­kür­zun­gen und sach­lich irre­füh­ren­de Schluss­fol­ge­run­gen hal­te ich für jour­na­lis­tisch unzu­läs­sig, zumin­dest aber für bedenk­lich.

CRUCERO: Sie wol­len damit sagen, das AIDA nicht mehr Lie­ge­flä­che bie­ten kann, da es dazu das fal­sche Pro­dukt ist?

THOMAS P. ILLES: AIDA Crui­ses ist zwei­fel­los ein her­vor­ra­gen­des Kreuz­fahrt­pro­dukt mit fai­rem Preis-Leis­tungs-Ver­hält­nis im preis­sen­si­blen Volu­men- und Fami­li­en­seg­ment. Wäre dem nicht so, hät­te die Ree­de­rei nicht so viel Erfolg.

Es han­delt sich aber defi­ni­tiv nicht um ein Pre­mi­um- oder Luxus­pro­dukt, was es auf­grund der Schiffs­grö­ße, der ver­gleichs­wei­se hohen Gäs­te­an­zahl ver­bun­den mit den ent­spre­chend preis­wer­ten Ange­bo­ten gar nicht sein kann. Das ist eine nach objek­ti­ven und eta­blier­ten Indus­trie­stan­dards vor­ge­nom­me­ne Qua­li­täts­ein­stu­fung.

Eines der Qua­li­täts­merk­ma­le von Luxus auf See ist Platz. Platz kos­tet aber Geld – auch auf Schif­fen. Je nach­dem, ob man sich – wie im Fal­le von AIDA – auf einem Schiff der Volu­men­klas­se für den Mas­sen­markt, auf einem Schiff der Pre­mi­um- oder Luxus­klas­se befin­det, hat man weni­ger oder mehr davon.

Bei Kreuz­fahrt­schif­fen gibt es eine unbe­stech­li­che Kenn­zahl dafür: die Pas­sen­ger Space Ratio, kurz PSR. Hier­für wird die Brut­to­raum­zahl (BRZ) des Schiffs durch die maxi­ma­le Gäs­te­zahl geteilt. Wäh­rend gro­ße Schif­fe im Volu­men­seg­ment wie von AIDA Crui­ses im Durch­schnitt über einen PSR-Wert um die 30 ver­fü­gen, sind es bei Luxus­schif­fen oft bis zu gut drei­mal so viel.

Auf Volu­men­schif­fen reicht die freie Deck­flä­che schlicht nicht aus, um allen Gäs­ten gleich­zei­tig eine Lie­ge zu ermög­li­chen. Dafür gibt es eine Fül­le ande­rer Frei­zeit­ein­rich­tun­gen an Bord. Anders ist es auf klei­ne­ren Schif­fen der Luxus­klas­se mit ihren viel gerin­ge­ren Gäs­te­ka­pa­zi­tä­ten. Den mit­un­ter sehr viel höhe­ren Auf­preis bezahlt man unter ande­rem für die opu­len­ten Platz­ver­hält­nis­se – da gibt es dann garan­tiert auch genug Lie­gen für jeden Gast.

„Es scheint, als wol­le das ZDF die Zuschau­er als wenig ver­sier­te Nut­zer in einer digi­ta­li­sier­ten Welt dar­stel­len.“

Tho­mas P. Illes

Die Ver­tei­lung der Gäs­te an Bord von Schif­fen mit hohem Pas­sa­gier­auf­kom­men funk­tio­niert oft sehr viel bes­ser, als es sich die meis­ten Lai­en ohne Kreuz­fahrt­er­fah­rung vor­stel­len kön­nen. Kreuz­fahrt­pas­sa­gie­re kön­nen das sicher bestä­ti­gen. Das in den Medi­en oder in der Lite­ra­tur oft pos­tu­lier­te Mär­chen vom „zusam­men­ge­pferch­ten Rei­sen mit Tau­sen­den von Men­schen in schwim­men­den Plat­ten­bau­ten“ erlebt man so gut wie nie. Und auf Luxus­schif­fen oder in den teu­re­ren Sui­ten­be­rei­chen, die auch immer mehr Volu­men­schif­fe ihren Gäs­ten anbie­ten, hat man die­ses Pro­blem nicht.  Noch ein­mal: Wäre dem nicht so, wäre die Kreuz­fahrt­bran­che nicht so erfolg­reich, wie sie es ist.

CRUCERO: Sie selbst sind regel­mä­ßig im TV – auch im ZDF – als Schiff­fahrts- und Kreuz­fahrt­ex­per­te zu sehen – der Sen­der kennt Sie also. Wur­den sie von der Redak­ti­on im Vor­feld nicht ange­fragt, die­se mit Ihrer Exper­ti­se zu unter­stüt­zen und genau sol­che Fach­in­puts zu lie­fern?

THOMAS P. ILLES: Nein, dies­mal wur­de ich nicht kon­tak­tiert. Ver­mut­lich pass­te das aus Sicht der Macher auch nicht in die­ses spe­zi­fi­sche Sen­de­kon­zept. Damit hät­te ich grund­sätz­lich kein Pro­blem, wenn das End­ergeb­nis unter dem Label objek­ti­ver Infor­ma­ti­ons­ver­mitt­lung nicht so him­mel­schrei­en­de fach­li­che und qua­li­ta­ti­ve Män­gel sowie irre­füh­ren­de Sug­ges­tiv­be­haup­tun­gen auf­wei­sen wür­de.

CRUCERO: Über­vor­tei­lun­gen sehen die Macher der Repor­ta­ge auch bei den Geträn­ke­pak­ten und hier pri­mär bei der Vor­ga­be, dass alle Bewoh­ner einer Kabi­ne ein Geträn­ke­pa­ket buchen müs­sen. War­um gibt es die­se Regel über­haupt?

THOMAS P. ILLES: Bucht nur eine Per­son ein Geträn­ke­pa­ket, kön­nen die ande­ren Bewoh­ner mittrin­ken. Das kann doch nicht im Inter­es­se der Ree­de­rei sein. Eine Über­vor­tei­lung sehe ich hier nicht. Abge­se­hen davon zwingt Sie nie­mand, ein sol­ches Geträn­ke­pa­ket zu buchen.

Was­ser, Soft­ge­trän­ke sowie Bier und Haus­wei­ne wer­den zu den Mahl­zei­ten kos­ten­los gereicht – man kann also auch ohne Geträn­ke­pa­ket wun­der­bar über die Run­den kom­men. Dar­auf geht die Sen­dung aber mit kei­nem Wort ein. Und wer halt mehr will, zahlt dafür – wie an Land auch.

CRUCERO: Wor­auf sie aber ein­geht, sind die bis zu 5.000 Kalo­rien Tages­auf­nah­me pro Pas­sa­gier …

THOMAS P. ILLES: Man kann doch nicht ernst­haft der Ree­de­rei vor­wer­fen, wenn Leu­te mehr in sich hin­ein­schau­feln, als ihnen gut­tut! Nie­mand zwingt Sie zur Auf­nah­me von täg­lich 5.000 Kalo­rien. Wer die­se Selbst­ver­ant­wor­tung, aus wel­chen Grün­den auch immer, nicht auf­zu­brin­gen ver­mag, soll­te viel­leicht lie­ber die Hän­de von Leis­tun­gen mit Voll­pen­si­on oder All-Inclu­si­ve Arran­ge­ments las­sen. Und zwar auch an Land.

CRUCERO: Ein wei­te­rer Kri­tik­punkt betrifft die AIDA-Land­aus­flü­ge mit erheb­li­chem Preis­auf­schlag. Wie ord­nen Sie die­sen Vor­wurf ein?

Auch die­se Kri­tik kann ich nicht nach­voll­zie­hen. Wenn die Ree­de­rei als Ver­mitt­le­rin und Orga­ni­sa­to­rin von Zusatz­leis­tun­gen auf­tritt, dann ist es doch völ­lig legi­tim, wie in jedem Hotel an Land, dass die Ree­de­rei dar­an ver­die­nen will und eine Mar­ge ein­kal­ku­liert. Das ist Teil des Geschäfts­mo­dells. Hät­ten sich die Macher der Sen­dung vor­her infor­miert, wäre ihnen das klar gewe­sen.

Auf der ande­ren Sei­te, und das bleibt in der ZDF-Sen­dung uner­wähnt, ermög­li­chen sol­che Bord­ein­nah­men eine Quer­sub­ven­tio­nie­rung des im Ver­gleich zu vie­len Land­an­ge­bo­ten unbe­strit­ten her­vor­ra­gen­den Preis-Leis­tungs-Ver­hält­nis­ses der Basis­kreuz­fahrt­an­ge­bo­te. Und auch hier gilt: Nie­mand zwingt Sie, die von der Ree­de­rei ange­bo­te­nen Aus­flü­ge zu buchen. Wer aber die Recher­che und Orga­ni­sa­ti­on eines Aus­flugs der Ree­de­rei über­lässt, zahlt den Auf­preis.

CRUCERO: Umwelt und Nach­hal­tig­keit wer­den in der Repor­ta­ge auch ange­spro­chen. Einer der Exper­ten sieht es als „Green­wa­shing“ an, den Blau­en Engel zu tra­gen und Green Crui­sing ans Schiff zu schrei­ben, aber dann aus Kos­ten­grün­den mit Mari­ne­die­sel zu fah­ren. Machen die Autoren hier eine zutref­fen­de Aus­sa­ge?

THOMAS P. ILLES: Hier haben die Autoren tat­säch­lich recht. Vie­le Ree­de­rei­en — nicht nur im Kreuzfahrt‑, son­dern auch im Fähr­be­reich — muss­ten auf­grund der durch die rus­si­sche Inva­si­on in der Ukrai­ne aus­ge­lös­ten Ener­gie­kri­se und der damit ver­bun­de­nen Preis­explo­si­on für Liqui­fied Natu­ral Gas, kurz LNG, wie­der auf Die­sel umstel­len. Dies ging so weit, dass z.B. die nor­we­gi­sche Fähr­ree­de­rei Fjord Line die Maschi­nen­an­la­ge ihrer bei­den bis­her rei­nen LNG-Schif­fe „Sta­vang­erfjord“ und „Ber­gens­fjord“ auf­wen­dig und kos­ten­in­ten­siv durch eine Dual-Fuel-Kon­fi­gu­ra­ti­on erset­zen muss­te, was öko­lo­gisch wie­der­um einen Rück­schritt bedeu­tet.

Eini­ge AIDA-Schif­fe ver­fü­gen von Anfang an über sol­che Dual-Fuel-Anla­gen. Aber auch bei LNG han­delt es sich um einen zwar emis­si­ons­är­me­ren, aber fos­si­len Treib­stoff — bis zur flä­chen­de­cken­den Ein­füh­rung wirk­lich grü­ner Treib­stof­fe haben wir also immer noch CO₂-Emis­sio­nen. Was man aus mei­ner Sicht AIDA Crui­ses und Tei­len der Kreuz­fahrt­bran­che gene­rell in die­sem Zusam­men­hang vor­wer­fen muss, ist die zuwei­len intrans­pa­ren­te, unaus­ge­wo­ge­ne und des Öfte­ren irre­füh­ren­de Kom­mu­ni­ka­ti­on.

„Ver­kür­zun­gen und sach­lich irre­füh­ren­de Schluss­fol­ge­run­gen hal­te ich für jour­na­lis­tisch unzu­läs­sig, zumin­dest aber für bedenk­lich.“

Tho­mas P. Illes

CRUCERO: Als Kom­mu­ni­ka­ti­ons­be­ra­ter bera­ten Sie inter­na­tio­na­le Fir­men, poli­ti­sche Insti­tu­tio­nen und Füh­rungs­kräf­te in- und außer­halb der mari­ti­men Wirt­schaft. Wür­den Sie der Kreuz­fahrt­bran­che gene­rell zu einer pro­ak­ti­ven Infor­ma­ti­ons­po­li­tik raten?

THOMAS P. ILLES: Abso­lut. Trans­pa­renz, Ehr­lich­keit, Aus­ge­wo­gen­heit, Kri­tik­fä­hig­keit und Authen­ti­zi­tät gehö­ren zum Gebot der Stun­de. Alles ande­re ist nicht mehr zeit­ge­mäß.

In wei­ten Tei­len der vor­wie­gend US-gepräg­ten Kreuz­fahrt­in­dus­trie wird nach wie vor sehr kon­ser­va­tiv und alt­ba­cken kom­mu­ni­ziert. Will hei­ßen: wenig, abweh­rend bis gar nicht – oder dann über­trie­ben selbst­herr­lich, selbst­be­weih­räu­chernd und schön­fär­be­risch.

CRUCERO:  Kön­nen Sie dazu Bei­spie­le nen­nen?

THOMAS P. ILLES: Bei der Icon of the Seas, dem bald welt­größ­ten Kreuz­fahrt­schiff von Roy­al Carib­be­an, das im kom­men­den Jahr in Dienst gestellt wird, wur­de kom­mu­ni­ka­tiv bis­her vor allem auf die Grö­ße und das Bespa­ßungs­an­ge­bot an Bord fokus­siert, ohne deut­li­cher auf die umwelt­tech­ni­schen Inno­va­tio­nen mit Signal­wir­kung für die übri­ge Schiff­fahrt hin­zu­wei­sen, mit denen der Neu­bau durch­aus auf­war­ten kann.

In Zei­ten von Kli­ma­kri­se und Dekar­bo­ni­sie­rung kann dies zu einem Repu­ta­ti­ons­scha­den für die gesam­te Bran­che füh­ren.

Das ande­re Extrem lie­fer­te MSC Crui­ses: Anläss­lich der kürz­li­chen Indienst­stel­lung der MSC Euri­bia wur­de wer­be­wirk­sam der Beginn des Zeit­al­ters kli­ma­neu­tra­ler Kreuz­fahr­ten sug­ge­riert. Trotz den unbe­strit­te­nen Fort­schrit­ten und Teil­erfol­gen auf dem Weg dort­hin hält dies einem Fak­ten­check natür­lich noch kei­nes­wegs stand. Prompt rief dies auch wie­der zahl­rei­che Medi­en auf den Plan, die die Behaup­tun­gen von MSC wider­leg­ten oder die „absur­de, deka­den­te und nicht mehr zeit­ge­mä­ße Gigan­to­ma­nie“ einer Icon of the Seas scharf kri­ti­sier­ten.

Dar­auf soll­te man als Ree­de­rei oder Bran­che vor­be­rei­tet sein und ent­spre­chend trans­pa­ren­ter, fak­ten­ba­sier­ter und viel­leicht mit etwas mehr Demut und Beschei­den­heit infor­mie­ren – da hät­te sich die Bran­che in den letz­ten Jah­ren viel Ärger und eine Men­ge unnö­ti­ger Zusatz­kos­ten erspa­ren kön­nen.

Auch AIDA Crui­ses hat in der Ver­gan­gen­heit im Bereich der Umwelt­tech­no­lo­gie Din­ge ver­spro­chen, die nicht ein­ge­hal­ten wer­den konn­ten, was eben­falls zu ent­spre­chen­der Kri­tik und Häme in den Medi­en geführt hat. Das Unter­neh­men kom­mu­ni­ziert heu­te zum Teil deut­lich bes­ser, wenn auch – wie das Bei­spiel ZDF zeigt – noch nicht immer mit der gebo­te­nen Kon­se­quenz und Offen­heit.

CRUCERO: Trotz­dem sind die Schif­fe gut gebucht – teil­wei­se ver­zeich­nen die Ree­de­rei­en Rekord­bu­chun­gen, die Nach­fra­ge nach Kreuz­fahr­ten scheint unge­bro­chen…

THOMAS P. ILLES: Das ist rich­tig. Die Bran­che, da bin ich mir sicher, wird auch in naher Zukunft ihre Schif­fe fül­len und wie­der gro­ße Erfol­ge fei­ern. Aber wird das auch noch in fünf oder zehn Jah­ren der Fall sein, wenn jün­ge­re Gene­ra­tio­nen nach­rü­cken und sich gesell­schaft­li­che Wer­te ändern?

Schließ­lich sind die Neu­bau­ten von heu­te dar­auf aus­ge­legt, die nächs­ten drei­ßig Jah­re Gewin­ne zu erwirt­schaf­ten. Kurz­fris­tig mögen die Mar­ke­ting­stra­te­gien und Wer­be­ver­spre­chen der Ree­de­rei­en in alt­be­währ­ter Manier noch eine Wei­le funk­tio­nie­ren.

Lang­fris­tig lau­fen sie jedoch Gefahr, das Miss­trau­en gegen­über der Kreuz­fahrt­in­dus­trie wei­ter zu schü­ren und ein zuneh­mend ver­zerr­tes Bran­chen­bild mit noch mehr Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit, Ver­trau­ens­ver­lust und Kri­tik in Medi­en und Bevöl­ke­rung zu erzeu­gen. Dies wäre eigent­lich unnö­tig, denn die Bran­che hat genü­gend posi­ti­ve Erfolgs­mel­dun­gen zu bie­ten, die auch objek­ti­ven Kri­te­ri­en stand­hal­ten. Mei­nes Erach­tens soll­te es der Bran­che aber nicht egal sein, wenn sich Kreuz­fah­rer auf­grund eines unzu­rei­chen­den Repu­ta­ti­ons­ma­nage­ments zuneh­mend schlecht und ange­grif­fen füh­len und sich für ihre Urlaubs­vor­lie­be recht­fer­ti­gen müs­sen.

CRUCERO: Zum The­ma Repu­ta­ti­on passt der Doku­men­ta­ti­ons­teil, der sich mit der Crew, ihrer Arbeits­zeit und Ent­loh­nung beschäf­tigt. Da wird unter­schie­den zwi­schen EU- und Nicht-EU-Mit­ar­bei­tern, die einen bekom­men 7 Euro Stun­den­lohn und Urlaubs­an­spruch, die ande­ren nur 4 Euro Stun­den­lohn und kei­nen Urlaub. Könn­ten Sie die Zusam­men­hän­ge erklä­ren?

THOMAS P. ILLES: Zunächst ein­mal: wir leben in einer glo­ba­li­sier­ten Welt. Und da soll­ten wir uns – auch die Redak­ti­on des ZDF und sei­ne Zuschau­er – ehr­lich machen: der Wohl­stand in unse­ren Indus­trie­na­tio­nen, auch das Wachs­tum des welt­wei­ten Tou­ris­mus, beru­hen im Wesent­li­chen auf das Aus­nut­zen eines extre­men Ungleich­ge­wichts zwi­schen Arm und Reich. Wenn irgend­wel­che Pro­duk­te oder Dienst­leis­tun­gen zu Prei­sen ange­bo­ten wer­den, damit sich die­se wei­te Tei­le der Bevöl­ke­rung leis­ten kön­nen, dann zah­len in der Regel immer auch die Mit­ar­bei­ter die­ser Anbie­ter – unter ande­rem in Form nied­ri­ger Löh­ne – die Zeche dafür.

Kreuz­fahr­tree­de­rei­en sind glo­bal agie­ren­de Off­shore-Kon­zer­ne mit ent­spre­chend welt­wei­tem Zugriff auf bil­li­ge Arbeits­kräf­te. Aber auch das gilt nicht nur für Kreuz­fahrt­schif­fe, son­dern auch für vie­le belieb­te Urlaubs­re­gio­nen an Land. Tat­säch­lich stammt auf Kreuz­fahrt­schif­fen die über­wie­gen­de Mehr­heit der Besat­zung, abge­se­hen von Offi­zie­ren und Füh­rungs­kräf­ten, aus Schwel­len- oder Dritt­welt­län­dern. Für vie­le von ihnen eröff­nen sich Chan­cen und Per­spek­ti­ven, die es in ihren Hei­mat­län­dern nicht gibt. Und die es – ver­ges­sen wir das bit­te nicht – auch für vie­le Working Poor und von Alters­ar­mut Bedroh­te hier­zu­lan­de nicht gibt. Des­halb sind Arbeits­plät­ze auf Kreuz­fahrt­schif­fen so begehrt.

CRUCERO: Den­noch sind die Arbeits­be­din­gun­gen an Bord zum Teil sehr hart und die Löh­ne für eini­ge Besat­zungs­grup­pen sehr nied­rig. Beleuch­ten die Autoren der Sen­dung hier nicht zu Recht einen wich­ti­gen Aspekt?

THOMAS P. ILLES: Die Löh­ne der Nicht-EU-Mit­ar­bei­te­rin­nen und ‑Mit­ar­bei­ter mögen nach unse­ren Maß­stä­ben unan­ge­mes­sen nied­rig erschei­nen, doch im Ver­gleich zu den Ver­hält­nis­sen in Län­dern wie den Phil­ip­pi­nen, Indi­en, Myan­mar oder Indo­ne­si­en ent­spre­chen sie lei­der — oder glück­li­cher­wei­se — einem Viel­fa­chen des­sen, was sie in ihren Hei­mat­län­dern bei gleich­zei­tig nied­ri­ge­ren Lebens­hal­tungs­kos­ten ver­die­nen könn­ten. Das wird in der Sen­dung aus­ge­klam­mert.

CRUCERO: Ist das der Grund, wes­halb die Ree­de­rei­en nach wie vor Crew­mit­glie­der zu die­sen Arbeits­be­din­gun­gen fin­den?

THOMAS P. ILLES: Genau das ist der Punkt. Wenn Sie mich jetzt fra­gen, ob ich das gut fin­de, dann muss ich Ihnen ganz klar ant­wor­ten: Nein, natür­lich nicht! Aber so ist die Welt nun ein­mal. Zumin­dest im Moment noch. Und vor allem: Wir alle sind mit unse­rem Kon­sum- und Ver­brau­cher­ver­hal­ten dafür mit­ver­ant­wort­lich. Auch wenn mir ein ZDF-Redak­teur neu­lich bei einem Dreh riet, kom­ple­xe The­men so zu erklä­ren, dass Oma vor dem Bild­schirm sie auch nach dem zwei­ten Glas Rot­wein noch ver­steht, bin ich über­zeugt, dass man den Zuschau­ern eine sol­che Dif­fe­ren­zie­rung hät­te zumu­ten kön­nen und müs­sen. Aber das hät­te der Sen­dung den Sen­sa­ti­ons­cha­rak­ter genom­men – und das war offen­sicht­lich nicht gewollt.

CRUCERO: Aber ist die Kri­tik nicht inso­fern berech­tigt, als dass AIDA mit gutem Bei­spiel vor­an­ge­hen und zumin­dest einen frei­en Tag pro Woche und weni­ger lan­ge Ein­satz­zei­ten gewäh­ren könn­te?

THOMAS P. ILLES: Abso­lut – neun oder teil­wei­se noch mehr Mona­te Ein­satz­zeit für bestimm­te Besat­zungs­ka­te­go­rien fern­ab der Fami­lie mit wenig bis gar kei­ner Frei­zeit hal­te ich bei allen oben genann­ten Vor­tei­len für eine Kata­stro­phe! Hier gibt es in der Tat noch viel Ver­bes­se­rungs­po­ten­ti­al.

Das wür­de aber das Rei­sen ver­teu­ern. Weni­ger Rei­sen­de wären die Fol­ge. Weni­ger Rei­sen­de bedeu­ten aber auch weni­ger Arbeits­plät­ze.

Die Pan­de­mie hat uns deut­lich vor Augen geführt, in wel­che exis­ten­zi­el­le Not Heer­scha­ren von Arbeit­neh­mern gera­de in Län­dern, die stark vom Tou­ris­mus abhän­gig sind, gera­ten, wenn die Rei­se­strö­me ein­bre­chen. Damit wäre nie­man­dem gehol­fen.

Hin­zu kommt: Für gewinn­ori­en­tier­te Unter­neh­men wie Kreuz­fahr­tree­de­rei­en bedeu­tet jede frei­wil­li­ge Ver­teue­rung der Betriebs­kos­ten, die nicht auch für die Wett­be­wer­ber gilt, einen erheb­li­chen Wett­be­werbs­nach­teil, der von den Akti­en- und Kapi­tal­märk­ten gna­den­los bestraft wird.

Lei­der beloh­nen die Markt­me­cha­nis­men im moder­nen Kapi­ta­lis­mus noch sel­ten vor­aus­schau­en­des, sozia­les Han­deln. Es sei denn, die Ree­der fin­den ohne bes­se­re Arbeits­be­din­gun­gen kein Per­so­nal mehr für ihre Schif­fe oder bes­se­re Arbeits­be­din­gun­gen für die Besat­zun­gen wer­den von den Pas­sa­gie­ren kon­kret in Form von höhe­ren Markt­an­tei­len und Ren­di­ten hono­riert. Dann wür­de das sofort umge­setzt.

Im Moment sind sol­che Ten­den­zen aber lei­der noch nicht in einem markt­be­stim­men­den Maße erkenn­bar. Nach wie vor wol­len wir alle mög­lichst bil­lig rei­sen, essen, ein­kau­fen, kon­su­mie­ren.

Blie­be noch die Schaf­fung einer ein­heit­li­chen, für alle Markt­teil­neh­mer gel­ten­den stren­ge­ren Gesetz­ge­bung – dann hät­ten wir das not­wen­di­ge Level Play­ing Field.

CRUCERO: Am Ende gewinnt man den Ein­druck, dass bei die­ser ZDF-Repor­ta­ge Info­tain­ment über Infor­ma­ti­on steht. Wie sehen Sie das?

THOMAS P. ILLES: Vor allem stör­te mich, dass man sich gut 43 Minu­ten Zeit nimmt, um ein­sei­tig, thea­tra­lisch und mit teil­wei­se gera­de­zu gro­tes­kem Kla­mauk bestimm­te The­sen zu prä­sen­tie­ren, ohne eine neu­tra­le, kri­ti­sche und fun­dier­te Gegen­po­si­ti­on zur Ein­ord­nung der prä­sen­tier­ten The­men ein­flie­ßen zu las­sen. Statt­des­sen beschränkt sich die Sen­dung auf ein­fa­che, popu­lis­ti­sche Stim­mungs­ma­che. Hier erwei­sen sich die Macher der Sen­dung als wenig dif­fe­ren­zie­ren­de Quo­ten­jä­ger, denen es offen­bar vor allem um medi­en­wirk­sa­mes Bas­hing geht. Das ist rei­ße­ri­scher Bou­le­vard­jour­na­lis­mus im Sti­le bil­li­ger Pri­vat­sen­der, aber aus mei­ner Sicht eines gebüh­ren­fi­nan­zier­ten öffent­lich-recht­li­chen Sen­ders wie dem ZDF mit sei­nem pro­kla­mier­ten Qua­li­täts­an­spruch — wie ich ihn sonst ken­ne und schät­ze und mit dem ich ger­ne zusam­men­ar­bei­te — nicht wür­dig.

CRUCERO:  Glau­ben Sie oder haben Sie die Hoff­nung, dass künf­ti­ge ZDF-Berich­te über Kreuz­fahr­ten wie­der bes­ser wer­den?

Ich hof­fe sehr, dass die­ser Bei­trag ein ein­ma­li­ger Aus­rut­scher war, dass das ZDF sich wei­ter­hin zu sei­nen ursprüng­li­chen Qua­li­tä­ten und Tugen­den im Sin­ne des öffent­lich-recht­li­chen Auf­trags bekennt und dass die­se Sen­dung nicht stell­ver­tre­tend für eine Art Info­tain­ment steht, die zukünf­tig Ein­zug in das redak­tio­nel­le Pro­gramm des ZDF hält. Wenn das die Zukunft des öffent­lich-recht­li­chen Fern­se­hens sein soll, dann gute Nacht …

CRUCERO: Kreuz­fahr­ten haben unbe­streit­bar einen Ein­fluss auf Umwelt und Gesell­schaft und es gibt auch Din­ge, die man kri­ti­sie­ren kann. Wo bestehen aus Ihrer Sicht tat­säch­lich Pro­ble­me und wie gra­vie­rend sind die­se?

THOMAS P. ILLES: An ers­ter Stel­le sind hier die Dau­er­bren­ner wie öko­lo­gi­sche Nach­hal­tig­keit jen­seits von blo­ßem Green Washing oder Over­tou­rism zu nen­nen. Umwelt­the­men und Dekar­bo­ni­sie­rung betref­fen aber nicht nur Kreuz­fahr­tree­de­rei­en, son­dern die Schiff­fahrt gene­rell, über die 90 Pro­zent des Welt­han­dels abge­wi­ckelt wer­den. Hier gilt ganz ein­fach: No ship­ping — no shop­ping! Und gera­de die viel geschol­te­nen Kreuz­fahrt­schif­fe, die nicht ein­mal ein Pro­zent der Welt­han­dels­flot­te aus­ma­chen, erwei­sen sich oft als Inno­va­ti­ons­trei­ber für fort­schritt­li­che Umwelt­tech­no­lo­gien in der gesam­ten Hoch­see­schiff­fahrt.

Dies erkennt mitt­ler­wei­le auch der sonst sehr kreuz­fahrt­kri­ti­sche Natur­schutz­bund Deutsch­land (NABU) an. Auch die jüngst beschlos­se­ne Ein­be­zie­hung der Schiff­fahrt in den Emis­si­ons­han­del wird ihre Wir­kung nicht ver­feh­len.

Die Trans­for­ma­ti­on muss aus mei­ner Sicht aber schnel­ler und kon­se­quen­ter vor­an­ge­trie­ben und unter ande­rem durch neue, stren­ge­re Regeln von allen Markt­teil­neh­mern glei­cher­ma­ßen getra­gen wer­den.

Denn nach Mei­nung vie­ler Exper­ten befin­den wir uns bereits im Kli­ma­not­stand, Neu­tra­li­tät reicht nicht aus, wir müs­sen CO2 ent­zie­hen. Dazu gehört, dass die Maß­nah­men auch Din­ge wie den Schiff­bau selbst, z.B. mit grün zu pro­du­zie­ren­dem Stahl, und die öko­lo­gisch ver­tret­ba­re Ver­schrot­tung alter Schif­fe umfas­sen, bevor man voll­mun­dig den mitt­ler­wei­le zum Mode­wort mutier­ten Begriff „Zero Emis­si­on“ in den Mund nimmt.

„Ein­fa­che Ant­wor­ten auf kom­ple­xe Fra­gen gibt es lei­der auch bei Kreuz­fahr­ten nicht.“

Tho­mas P. Illes

CRUCERO: Sehen Sie noch wei­te­re Pro­ble­me?

THOMAS P. ILLES: Ja, durch­aus. Zum Bei­spiel, dass die Desti­na­tio­nen, die von Kreuz­fahrt­schif­fen ange­lau­fen wer­den, in die loka­le Wert­schöp­fungs­ket­te ein­ge­bun­den wer­den und stär­ker am wirt­schaft­li­chen Erfolg par­ti­zi­pie­ren kön­nen. Aber auch hier tut sich eini­ges, nicht zuletzt, weil Kreuz­fahrt­pas­sa­gie­re zuneh­mend authen­ti­sche, loka­le Erleb­nis­se nach­fra­gen. Und wie bereits erwähnt, bleibt die Kom­mu­ni­ka­ti­on und öffent­li­che Wahr­neh­mung der Bran­che eine gro­ße Her­aus­for­de­rung.

CRUCERO: Sie leh­ren unter ande­rem Tou­ris­mus, Kom­mu­ni­ka­ti­on und Wirt­schaft an ver­schie­de­nen Hoch­schu­len. Erle­ben Sie die von Ihnen ange­spro­che­ne kri­ti­sche Hal­tung auch bei den Stu­die­ren­den?

THOMAS P. ILLES: An den Hoch­schu­len ist das The­ma Kreuz­fahr­ten nicht unum­strit­ten. Aller­dings nicht so sehr bei den Stu­die­ren­den. Die sind zwar, wie ich fin­de, zu Recht oft kri­tisch. Aber mit ihnen kann man mit Offen­heit, Empa­thie, Kri­tik­fä­hig­keit und ‑bereit­schaft und jen­seits von dump­fen PR-Flos­keln immer wie­der in einen Dia­log und kon­struk­ti­ven Aus­tausch tre­ten, um auch bei die­sen zukünf­ti­gen Ent­schei­dungs­trä­gern und Mei­nungs­bild­nern Inter­es­se für Kreuz­fahr­ten zu wecken. Das sind genau die kom­mu­ni­ka­ti­ven Eigen­schaf­ten, die sich auch die Kreuz­fahrt­in­dus­trie und die Schiff­fahrt im All­ge­mei­nen noch mehr auf die Fah­nen schrei­ben soll­ten.

CRUCERO: Sind es also eher die Leh­ren­den, die Schwie­rig­kei­ten berei­ten?

THOMAS P. ILLES: Mei­ner Erfah­rung nach ganz klar ja. Gene­rell fällt auf, dass gera­de in intel­lek­tu­el­len Krei­sen, oder zumin­dest in sol­chen, die sich dafür hal­ten, das Phä­no­men des Kreuz­fahrt-Bas­hings zum guten Ton und zum demons­tra­ti­ven Beweis intel­lek­tu­el­ler, kul­tu­rel­ler und ideo­lo­gi­scher Über­le­gen­heit zu gehö­ren scheint.
Am lau­tes­ten schrei­en erfah­rungs­ge­mäß die­je­ni­gen, die noch nie auf einem Kreuz­fahrt­schiff waren, kei­ne Ahnung von der Bran­che haben oder sich unre­flek­tiert von Vor­ur­tei­len lei­ten las­sen. Neben pro­mi­nen­ten Influen­cern aus Berei­chen wie Sozio­lo­gie, Phi­lo­so­phie, Feuil­le­ton, Jour­na­lis­mus, Zukunfts­for­schung etc. fin­den sich dar­un­ter auch etli­che Hoch­schul­de­ka­ne, noch dazu – für mich völ­lig unver­ständ­lich – aus­ge­rech­net von tou­ris­ti­schen Hoch­schu­len. Neu­tral-unab­hän­gig wird Bil­dung so sicher nicht ver­mit­telt.
Man kann Kreuz­fahr­ten mögen oder nicht. Und man darf, ja man muss sich auch einen kri­ti­schen Blick auf die­se Urlaubs- und Mobi­li­täts­form bewah­ren. Aber bit­te immer sach­lich, aus­ge­wo­gen, fak­ten­ba­siert und aus­rei­chend dif­fe­ren­ziert. Ein­fa­che Ant­wor­ten auf kom­ple­xe Fra­gen gibt es lei­der auch bei Kreuz­fahr­ten nicht.  ■

               
Inter­view: Tobi­as Lan­ge-Rüb

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